Die zulässigen und unzulässigen Fragetechniken bei der Steuerfahndung
Die zulässigen und unzulässigen Fragetechniken bei der Steuerfahndung
Grundsätzlich soll der Zeuge erst mal frei erzählen. In Strafsachen schreibt jeder (Gericht, Staatsanwalt, Anwalt) selbst mit, beim Amtsgericht auch der Protokollführer (unkontrolliert das, was er versteht, ohne Rückfragen oder Fragerechte von ihm).
Der Protokollführer ist also der Versteher schlechthin und was im Protokoll steht, ist schließlich wahr.
Ist der Sachverhalt vollständig aus der Sicht des Zeugen erzählt, stellt der Vorsitzende Fragen, danach (zumindest theoretisch) die restlichen Mitglieder des Gerichts, dann die Staatsanwaltschaft, dann die Verteidigung und/oder der Angeklagte.
Beim Finanzgericht lässt der Vorsitzende Richter Zeugen eigentlich auch ungehindert zum Beweisthema berichten.
Häufig unterbrechen aber Vorsitzende Richter dann nach einer Sequenz, um das Gehörte aufzunehmen und abzudiktieren. Dann wird die Vernehmung fortgesetzt.
Die Fragen sollten eigentlich zunächst offen sein und niemals suggestiv.
Wenn der Zeuge sich nicht erinnert, kann man gezielter, geschlossener Fragen, etwa um den Zeugen auf ein Ziel hinzuführen, das einen interessiert. Auch helfen Vorhalte, wie das teilweise Verlesen früherer Aussagen (etwa Aussagen bei der Polizei). Dem Zeugen sollte nichts in den Mund gelegt werden. Manchmal helfen auch Stichworte weiter, um die Erinnerung des Zeugen zu aktivieren.
Zeugen, die allerdings detailarm und inhaltsleer einen Sachverhalt als angeblich erlebt behaupten, sind auffällig.
Ebenso Zeugen, die ganz anders aussagen als früher. Jedenfalls wenn es erhebliche Abweichungen oder Abweichungen zum Kerngeschehen gibt. Hier ist zweifelhaft, ob sie den Sachverhalt tatsächlich erlebt haben.
Wenn diese Zeugen bereitwillig Vorschläge aus einer geschlossenen Frage annehmen, erfinden sie offenbar den Sachverhalt während sie aussagen und erinnern sich nicht an frühere Aussagen. Auch wenn sie nun auf einmal mehr Details wissen als früher … ist das sehr auffällig. Normalerweise wird das Erinnerungsvermögen mit zunehmendem Zeitablauf nicht besser, sondern schlechter.
Man kann das Lügen des Befragten wunderschön austesten, wenn man solchen Zeugen viele Detailfragen stellt und Antwort-Alternativen gleich mit anbietet … (z.B. Welches Auto fuhr der Täter?
- VW oder Mercedes?
- War das Auto neu oder alt?
- Was heißt für sie alt/neu?
- Wieviel Jahre? 3 oder 5?
- Woher können Sie das beurteilen?
- Hatte das Auto Beulen oder Kratzer?
- Wo?
- Vorne? Hinten? Seite?
- Welche Seite?
- Wie groß waren die Kratzer/Beulen?
- Bog er links oder rechts ab?
- Fuhr der Täter schnell oder langsam?
- Woher können Sie das beurteilen?
- Benutzte er den Blinker?
- Wieviele Personen saßen im Auto?
- Wo standen Sie?
- Hatten Sie freie Sicht auf den Pkw?
- Wieviele Meter waren Sie von dem Wagen entfernt, als er an Ihnen vorbeifuhr?
- Wo kam der Wagen her?
- War das Auto blau oder rot?
- Cabriolet oder Coupe oder Caravan?
- Fenster offen oder geschlossen? Hinten die auch?
- Getönte Scheiben? Aufkleber? Kennzeichen?
- Fahrtlicht an oder aus? Runde Frontlichter oder ovale?
- Auffällige Außenspiegel?
- Marke? Typ?
- Wie blinkte der Blinker? Schnell, langsam, verlaufend? Gelber Blinker oder roter?
- Wie lange in Sekunden haben Sie das Fahrzeug gesehen?
- 3, 4 oder 5 Sekunden?
- Wie lange war die Wegstrecke, über die Sie das Fahrzeuge sehen konnten: 50 oder 100 m?
- Felgenfarbe? Silber? Schwarz? Auffälligkeiten an den Felgen?
Die lügenden Zeugen versuchen meist dem Fragenden zu gefallen und ihn zufrieden zu stellen und versuchen jede Frage zu beantworten und nehmen denn meist eine der angebotenen Alternativen dankbar an, in der Annahme, die eine oder andere Variante sei wahr oder nicht widerlegbar.
Blöd ist das nur, wenn es ein solches Modell, wie vom Zeugen berichtet, gar nicht gibt … also der Wagen älter ist und keine ovalen Frontlichter und keinen Verlaufsblinker hat …
Dann ist die Frage, was sonst noch alles nicht stimmt bei er Aussage des Zeugen.
Der ehrliche Zeuge würde sich versuchen zu erinnern und entweder erklären, dass er das Fahrzeug etwa nicht von vorne gesehen hat, sondern erst später hinschaute, als der Wagen auf gleicher Höhe war und er daher die Front nicht sah und die Frontscheinwerfer nicht gesehen hat.
Oder er würde wahrheitsgemäß sagen, dass er sich nicht erinnern könne. Oder darauf nicht geachtet habe o.ä.m..
Der lügende Zeuge bastelt sich häufig den Sachverhalt und glaubt, er hätte dann Ruhe, wenn er alles zur Zufriedenheit des Fragenden beantwortet.
Er hat ja sowieso den ganzen Sachverhalt zusammengedichtet, so dass er einfach nur weitermacht um glaubwürdig zu erscheinen.
Der ehrliche Zeuge, der sich nicht erinnert, gibt das auch zu – er sagt einfach so, wie es ist.
Aber Vorsicht: Erfahrene Lügner streuen dann halt mal ein, dass sie darauf nicht geachtet haben oder sich nicht sicher sind usw.
Auch solche Situationen kann man schließlich üben.
Das bringt mich wieder auf die Frage nach der Relevanz der Kriterien zurück: der der nervös scheint, der der auf seinem Stuhl umverrutscht der, der sich an Details nicht mehr erinnert, der der Sachen verwechselt, dabei dennoch zum Kerngeschehen wahrheitsgemäß aussagt.
- Wie ist das mit der ureigensten Aufgabe des Gerichts, die Glaubwürdigkeit zu beurteilen?
- Woher kann das das Gericht?
- Welche Prüfungen hat das Gericht zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Personen erfolgreich absolviert?
- Legen wir da die Entscheidungs- und Beurteilungsgewalt so wichtiger Fragen in professionell ausgebildete Hände oder haben die nur gute Examensklausuren geschrieben und von der Glaubwürdigkeitsbeurteilung keine Ahnung?
Ich weiß es nicht und kann es nicht beurteilen.
- Vielleicht gibt es ja spezielle mehrmonatige Ausbildungslehrgänge und ständig Weiterbildungen in Form von Kolloquien und Seminaren bei den Gerichten über so wichtige Fragen wie Glaubwürdigkeitsbeurteilungen?
Ich weiß es nicht.
- Oder ist Glaubwürdigkeitsbeurteilung und infolge dessen Rechtsprechung an dieser Stelle ein Würfelspiel, wenn es auf die Bewertung von Zeugenaussagen ankommt?
- Die blinde Justitia, weil da kein Fachwissen über die Beurteilung der Glaubwürdigkeit vorhanden ist?
- Ist die Blindheit also etwa nicht Sinnbild für Entscheidungen ohne Ansehen der Person? Wie ist die Augenbinde zu verstehen?
- Und warum gibt es keine Wortlautprotokolle und keine Ton- und Filmmitschnitte der Zeugenaussagen? W
- arum will der BGH als Revisionsgericht sich in die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen grundsätzlich nicht einmischen und schiebt das in den fast unüberprüfbaren Verantwortungsbereich der Instanzgerichte?
- Weil man unendlich über die Vertretbarkeit der Beurteilung diskutieren könnte?
Anknüpfungssachverhalte, die den Zeugen auf eine Sequenz hinführen, an dem die Frage ansetzen soll, sind zulässig.
Etwa: ich möchte noch mal auf den Zeitpunkt eingehen, als der Wagen genau neben Ihnen war.
Meine Fragen:
- Wo standen Sie genau (an einer Ampel, vor einem Geschäft?)?
- Wenn Sie an einem Geschäft standen, wo scheuten Sie hin: ins Schaufenster?
- Was haben Sie im Schaufenster gesehen?
- Was war in der Auslage?
- Was war das für ein Geschäft?
- Konditorei? Schuhgeschäft? Spielwarengeschäft? Akkustiker oder Optiker?
- Und warum haben Sie dann auf die Straße zu dem Auto gesehen?
- Wo stand da die Sonne?
- War die Farbe einheitlich grün oder waren einzelne Teile etwa der linke Kotflügel andersfarbig? Den linken Kotflügen müssen Sie doch gesehen haben … ?
- Wie spät war es da, als der Wagen neben Ihnen war? Woher wissen Sie das? Haben Sie das auf der Uhr gegenüber an dem Laden gesehen?
Da können also eine ganze Menge Fangfragen drin stecken, wenn der Fragende die Örtlichkeit kennt oder er lässt ohne Ortskenntnis seiner Fantasie freien Lauf beim Fragen und den angebotenen Alternativen. Aber wenn der Zeuge auf die Details einsteigt und alle Details sich heraussucht, ohne am Ort des Geschehens gewesen zu sein, sind in seiner Aussage zahlreiche Widersprüche zur Realität.
Das muss dann später durch eine Ortsbesichtigung herausgearbeitet werden und in Form eines neuen Beweisantrages eingebracht werden, dass der zeuge gelogen hat, wenn er die Örtlichkeit frei erfunden hat. Ob dann der Kern seiner Aussage noch stimmt und der Zeuge insgesamt glaubwürdig ist, muss das Gericht dann bewerten.
Wenn die Menschen Schwierigkeiten haben, Lügen von Wahrheit zu unterscheiden, könnte man das vielleicht verobjektivieren und auf eine Maschine übertragen?
Die als Lügendetektoren bekannten Poligraphen sind allerdings ein zu ungenaues Instrument, gerade weil zu viele äußere Einwirkungen Einfluss auf das Ergebnis nehmen können. Ebenso ist es bei der Messung von Hirnaktivitäten des Zeugen während dessen Aussage. Deshalb sind diese Methoden bei der Wahrheitsfindung in Deutschland auch nicht zugelassen.
Letztlich ist es die Summe der verschiedenen Merkmale kann eine gewisse Sicherheit schaffen. Es sind dies die Realkennzeichen, anhand deren Gutachter und Fachleute die Zeugenaussagen überprüfen. Insoweit gibt es Hinweise darauf, dass eine Aussage auf realen Begebenheiten beruht. Zwei Ansätze sind zu berücksichtigen.
Denn auch eine wenig glaubwürdige Person kann dennoch konkrete glaubhafte Aussage machen. So muß etwa geprüft werden, ob ein Zeuge leicht zu beeinflussen, emotional abhängig von anderen oder labil ist, ob er suchtkrank oder bereits als Lügner aufgefallen ist, ob er sich in Widersprüche zum Kerngeschehen verstrickt. Lügner berichte zumeist recht detailarm.
Dass eine Aussage glaubhaft ist, lässt sich meist an geschilderten Details, der sprunghaften Erzählweise oder an Korrekturen festmachen. Anschauliche Beschreibung von Körperempfindungen und eigener Emotionen sprechen für erlebte Geschehnisse.
Ein Lügner dagegen will meist, dass man ihm seine Geschichte abnimmt.
Er wird sich deshalb nicht korrigieren und statisch und meist detailarm seine Geschichte erzählen. Aber Vorsicht: nicht jeder ist gleich eloquent und ausdrucksstark. Manchen beeinflusst auch die Situation im Gerichtssaal, so dass er eben dasd Erlebte nicht so locker und detailreich erzählen kann.
Der korrekt antwortende Zeuge, würde sich auf die vielen Fragen versuchen zu erinnern, würde jedoch an vielen Stellen offen zugeben, dass er das nicht gesehen hat oder er sich nicht daran erinnern kann und würde Unsicherheiten oder Vermutungen offen legen.
Auf (irrtümlich oder absichtlich) falsche Vorhalte könnte der Zeuge wie folgt reagieren: „wie ich vorhin schon sagte, war das Auto silberfarben.“ Oder: „weder blau noch rot, das Auto war silber“ oder „und wenn Sie mich noch 5 mal fragen: der Wagen war silber.“
Oder: das habe ich doch schon drei mal gesagt: der Wagen war silber. Auf Suggestivfragen oder falsche Vorhalte würde am Besten souverän reagieren: cool wäre es beispielsweise auf eine Suggestivfrage wie folgt zu antworten:
- „Denken Sie nicht auch, dass Suggestivfragen in dieser Zeugenbefragung völlig fehl am Platz sind?“
- Oder: „Ich könnte auf Ihre Suggestivfrage eingehen, habe mich aber für die ehrlichere Antwort entschieden“
- Oder: „Suggestivfragen dienen der Beeinflussung von Zeugen. Wollen Sie die Wahrheit oder nur das hören, was Ihnen gefällt und mich daher manipulieren?“
Frageform | Beispiele |
Gering suggestive Frageformen | |
Offene Fragen
(Leerfragen) |
„Was haben Sie gesehen?“
„Was geschah dann?“ |
Bestimmungsfragen | „Um wie viel Uhr ist das passiert?“ |
Auswahlfragen | „War es ein Mann oder eine Frau?“ |
Satzfragen | „Hat der Mann etwas gesagt?“ |
Stark suggestive Frageformen | |
Vorhaltfragen mit vorausgesetzten Fakten | „Hat er das gestohlene Geld in die Tasche gesteckt?“ |
Eingekleidete Wertungen und Deskriptionen | „Wie schnell ist der Täter gerannt, als Sie ihn aus dem Laden flüchten sahen?“ |
Unvollständige Disjunktionen in Auswahlfragen | „War das Auto blau oder rot?“ |
Implizierte Erwartungen | „Das Opfer hat dann sicher um Hilfe gerufen?“ |
Konformitätsdruck (sozialer Vergleich) | „A und B haben ausgesagt, dass … Haben Sie das nicht auch gesehen?“ |
IllokutivePartikel und Redewendungen | „Sie haben ja wohl den Schuss gehört, oder?“ |
IllokutivePartikel und Redewendungen mit Konformitätsdruck | „Sie haben ja wohl auch den Schuss gehört, oder?“ |
Fragewiederholung | … „Sind Sie da wirklich sicher? Hat er das Geld genommen? Haben Sie das ganz genau gesehen“ |
Negatives Feedback | „Das gibt’s doch nicht, dass Sie das nicht mehr wissen! Sie müssen sich doch daran erinnern!“ |
Drohungen und Versprechungen | „Ich frage Sie so lange, bis Sie mir sagen, was der X mit Ihnen gemacht hat. Vorher lasse ich Ihnen keine Ruhe. Es wird Ihnen gut tun, wenn Sie es endlich sagen.“ |
Die Fragen an die Zeugen (gerade vom Gericht: das zeigt zum Teil schon, ob das Gericht dem Zeugen glaubt und wohin die Reise in dem Verfahren geht) und die Antworten der Zeugen sind stets spannend.
Leider wird in der Ausbildung der Juristen auf eine richtige und gute Fragetechnik kein Wert gelegt. Nicht einmal eine Grundausbildung hinsichtlich Psychologie und Zeugenbefragung gehört zur Grundausbildung der Juristen.
Juristen und Juristinnen müssen sich die Kenntnisse über die Fragetechniken und die Aussagebeurteilung autodidaktisch aneignen.
Das gilt auch für Richter, Staatsanwälte und Anwälte.
Um so problematischer ist es, dass die Bewertung der Zeugenaussagen und deren Glaubwürdigkeitsbeurteilungen ureigenste Aufgabe des Gerichts ist (diese Formulierung geht auf Karl Peters zurück, nach dem die Würdigung der Beweise ureigenste Aufgabe des Tatrichters sei und ist seitdem ständige Rechtsprechung:
Seit RGSt 61, 273; danach BGHSt 10, 208, 209; 21, 157, 164; 29, 18, 20; 36, 286, 293; 39, 199, 200; 40, 97, 102; BGH NStZ 2001, 105.
Eine ausführliche Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung findet sich bei Panhuysen Die Untersuchung des Zeugen auf seine Glaubwürdigkeit, 1964, Kap. 39.
Das in Wahrheit keine Ausbildung hierfür hat (vgl. Jahn, https://www.jura.uni-frankfurt.de/55029767/Generic_55029767.pdf) Aber wahrscheinlich ist das den Richtern von Geburt aus in die Wiege gelegt. Entsprechend unterschiedlich ist der Wissenstand der Fragenden und die Qualität der Fragen.
Teilweise wird versucht über Mimik und Hirnwellen, psychische und physische Kennzeichen wie Schwitzen oder stockender Atem, Hin- und Herrschen auf dem Sitz, über die sprachliche und inhaltliche Merkmale zu analysieren, ob der Zeuge log oder nicht.
Der sich schlecht ausdrückende, nicht gesprächsgewandte Zeuge mit Hämorriden, der deswegen auf dem Stuhl hin- und herrutscht, wird danach möglicherweise zu Unrecht recht schnell als Lügner abgestempelt.
Da er nicht weiß, dass sein Hin- und Herrutschen auf dem Stuhl die Ursache für sein Abgestempelt werden ist, kann er sich hierzu auch nicht äußern und die falsche Interpretation seines Hin- und Herrutschens richtigstellen und erläutern. Da das Gericht auch nach der Aussage nicht unbedingt zu erkennen gibt, wie und warum es eine Zeugenaussage so wertet, gibt es dann meist einen gewissen Überraschungseffekt im Urteil.
Letztlich müsste der Richter von einer Nullhypothese ausgehen: Das methodische Grundprinzip besteht darin, den zu überprüfenden Sachverhalt, also die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage, so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten – insbesondere den anderen Beweismitteln des Strengbeweises- nicht mehr vereinbar ist. Der Sachverständige nimmt daher bei der Begutachtung zunächst an, die Aussage sei unwahr (sog. Nullhypothese). Zur Prüfung dieser Annahme hat er weitere Hypothesen zu bilden. Ergibt seine Prüfstrategie, daß die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt dann die Alternativhypothese, daß es sich um eine wahre Aussage handelt.
Die Realitätskriterien stellen sich nun folgendermaßen dar:
- Konkretheit und Anschaulichkeit der Schilderungen, auch bei den raumzeitlichen Verknüpfungen und Verankerung des Geschehens in konkrete Lebenssituationen,
- Detailreichtum der Aussage, insbesondere Erwähnung von Einzelheiten, die die Kapazität des Aussagenden übersteigen (z.B. Vorsichts- und Tarnmaßnahmen) sowie das Zugeben von Erinnerungslücken, Schilderung sog. abgebrochener Handlungsketten, unerwarteter Komplikationen oder phänomengemäßer Schilderungen unverstandener Handlungselemente,
- Selbstkorrekturen und –belastungen,
- Originalität (keine Klischees, keine Stereotype), insbesondereWiedergabe eigenen Erlebens (Gefühle, Sorgen, Ängste, Erwähnungunvorteilhaften oder sozial mißbilligten Verhaltens),
- Innere Stimmigkeit und Folgerichtigkeit (sog. logische Konsistenz),insbesondere Widerspruchslosigkeit der Aussage zu anderen Tatsachen und empirisch überprüfbaren Sachgesetzen der Wissenschaft und Technik,
- Deliktstypische Details und Aussageelementesowie für den Fall, daß mehrere Aussagen eines Zeugen vorliegen, die
- Konstanz des Aussageverhaltens durch einen Vergleich von Angaben
- über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Hinblick auf Übereinstimmungen, Widersprüche, Ergänzungen und Auslassungen.
Eine bewußt lügende Person konstruiert ihre Aussage hingegen aus ihrem gespeicherten Allgemeinwissen. Da dies eine schwierige Aufgabe mit hohen Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit darstellt, gibt es für eine solche rein kognitive Leistung Indizien. Einige klassische Lügensignale einer Aussage, die sich teilweise auch im logischen Umkehrschluß aus den Realitätskriterien ergeben, sind
- Verlegenheit und Zurückhaltung des Aussagenden bis hin zu Verweigerungs- oder Fluchttendenzen, auch in der Körpersprache
- Verbalsprachliche Kriterien (z.B. der bekannte Freud’sche Versprecher)
- Unterwürfigkeit oder – genau umgekehrt –
- übertriebene Bestimmtheit des Aussagenden
- Vorwegverteidigungs- („Wenn Sie mir vorwerfen würden, daß ich …“)und Entrüstungssymptom („Eine Unverschämtheit, mir so etwas zuunterstellen“)
- Kargheit, Abstraktheit und Detailarmut der Darstellung
- Glattheit (Aussage ohne Schilderung von Komplikationen) und
- Strukturbrüche (vgl. Jahn, https://www.jura.uni-frankfurt.de/55029767/Generic_55029767.pdf).
Die neuere und inzwischen gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGHSt 45, 164) stellt bei der Beurteilung der Frage, ob ein Zeuge subjektiv die Wahrheit sagt, weniger auf dessen (allgemeine) Glaubwürdigkeit, sondern entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage ab. Das geeignete Instrumentarium dafür, ob der Zeuge subjektiv die Wahrheit sagt, ist insbesondere die Aussageanalyse. Hat der Tatrichter die Zuverlässigkeit der Aussage nach diesen Maßstäben überprüft und hält er sie danach – ohne der Tatsache der Vereidigung Gewicht beizumessen – für glaubhaft, so kann das Revisionsgericht ein Beruhen des Urteils auf der zu Unrecht vorgenommenen Vereidigung ausschließen (vgl. BGH NSTZ 2000, 546, BGH NStZ-RR 2001, 18; BGHR StPO § 60 Nr. 2 Vereidigung 5; BGH, Beschlüsse vom 22. November 2000 – 1 StR 375/00 – und BGH vom 26. November 2001 – 5 StR 54/01-) (vgl. BGH 1 StR 553/01 – Beschluss vom 16. Mai 2002).
Aber bei all diesen Kriterien gibt es natürlich auch notorische Lügner, sog. Profi-Lügner, die ihrerseits die Kriterien kennen und bei denen alle Klischees und Kriterien versagen. Und umgekehrt: wenn man eine Aussage nicht glauben will und sie nicht ins Verutreilungsbild passt, dann muss der Zeuge doch lügen, oder? Dass die Verurteilungsthese falsch wäre, kann doch nicht sein, oder am Ende etwa doch? Sollte sich der Kollege Staatsanwalt etwa geirrt haben mit dem der Richter fast jeden Tag in der Kantine gemeinsam isst?
Und dann gibt es im Steuerstrafrecht die „Aktenvorträge“, getarnt als Zeugenvernehmungen: solche Aktenvorträge kennt die StPO eigentlich nicht – aber die Richter und Kammern versuchen den steuerstrafrechtlichen Sachverhalt durch Aktenvorträge der Ermittler ins Verfahren zu bringen, die genau genommen für eine Hinterziehung vor der Durchsuchung niemals Beweismittel sein können und sich zudem für die Vernehmung durch ein Tage- und Wochenlanges Auswendiglernen der Akte präparieren … das ist aus Sicht der StPO ein verbrannter, präparierter Zeuge, der über den eigentlichen Tathergang nichts sagen kann, sondern bestenfalls wie ein „Knallzeuge“ nach dem Unfall den Unfallhergagng aus dem Bremsenquietschen, dem Knall und der Stellung der Fahrzeuge rekonstruiert und vorgibt, vermeintlicher Zeuge des Unfallhergangs zu sein… Solchen unsinnigen Aktenreferaten kann man nur nach der Widerspruchslösung widersprechen und hoffen, dass der BGH diesem prozessualen Unsinn endlich in einem Grundsatzurteil einen Riegel vorschiebt. Auch trotz Wiederspruchs wird der Zeuge natürlich vernommen. Der Richter ordnet nach ihrem schriftlich verfassten und zu Protokoll erklärten Widerspruch gegen die Vernehmung des vermeintlichen Zeugen, der in Wahrheit Aktenreferent ist, an, den Zeugen gleichwohl zu vernehmen. Hier beanstandet der erfahrene Verteidiger die fehlerhafte Verfahrensführung, was manchmal bei Amtsrichtern zu Irritationen führt. Wie dem auch sei: die Fehlerhafte Verfahrensführung wird beanstandet und eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 II StPO beantragt. Wenn der Amtsrichter meint, das gehe nicht, weil doch er das Gericht sei, lassen sich natürlich erfahrene Verteidiger nicht aus der Ruhe bringen und bleiben bei dem Antrag. Der muss nur ins Protokoll. Was das Gericht dann meint oder beschließt oder für sinnig oder unsinnig hält, spielt dann eigentlich schon keine Rolle mehr, da die wesentlichen Punkte im Protokoll enthalten sind. Die Fahnder/Betriebsprüfer sind zudem schon „verbrannte“ Zeugen, weil sie sich wochenlang vorher mit der Akte beschäftigt haben und diese auswendig gelernt haben. Wenn Sie mal das Vergnügen haben, einen solchen Fahnder/Betriebsprüfer zu vernehmen, befragen Sie ihn mal ausgiebig -am Ende oder Anfang oder mittendrin- nach seiner Vorbereitung auf die heutige Vernehmung. Erst ganz offen: wie haben Sie sich vorbereitet? Dann: mit wem haben Sie über die heutige Ladung gesprochen? Dann: haben Sie die Akte gelesen? Welche? Woher haben Sie die? Seit wievielten Wochen liegt die bei Ihnen im Zimmer? Wieviele Stunden haben Sie gestern in der Akte gelesen? Und wieviele Stunden vorgestern? Und wieviel Stunden in der letzten Woche? Ist Ihre Akte mit der uns vorliegenden Akte identisch? Wieviele Seiten hat Ihre Akte (Oftmals packt der Prüfer oder Fahnder hier seine Handakte aus, die nicht ein al in Kopie dem Gericht oder der Verteidigung vorliegt. Hier macht es Sinn, die Beschlagnahme der Akte und die Aussetzung der Verhandlung zu beantragen, da eine sinnvolle Befragung des Zeugen erst nach Kenntnis des Akteninhalts sinnvoll ist und gleichzeitig Akteneinsicht in diese Akte zu beantragen …)
Aber welchen Maßstab wollte man auch an die Aussage eines solchen Zeugen stellen? Früher, bei der Fahndung bzw. BuStra ist er nicht vernommen worden, so dass sich auch keine Aussagekontinuität mit früheren Aussagen herleiten lässt. Da er die Akte auswendig lernte, ist natürlich auch ein Detailreichtum gegeben. Und weil er die anderen Zeugenaussagen kennt, widerspricht das dem Grundsatz, dass die Zeugen in Abwesenheit der übrigen Zeugen quasi unbeeinflusst durch deren Aussagen aussagen sollen. Und da der Zeuge nur das, was er nicht in Erinnerung hat, aussagen soll, ist das schon ein mehr als lächerliches Schauspiel, das uns da von den professionellen Beamten-Zeugen jedesmal vorgespielt wird. Warum werden bei anderen Zeugen andere Maßstäbe angelegt, als bei diesen professionellen Beamten-Zeugen, wie Fahnder und Betriebsprüfer? Und wie albern ist eigentlich so ein Richter bei diesem Verhalten: der Richter weiß, dass der professionelle Beamten-Zeuge sich nach seinen Dienstvorschriften vorbereiten muss und die Akte vorher lesen muss … und dann hat der professionelle Zeuge den Akteninhalt auswendig gelernt, teils über Tage und Wochen und referiert dann das, was mehr oder weniger in der Akte steht und der Richter glaubt dem professionellen Zeugen, weil der das Auswendig gelernte, was ja der Akteninhalt ist, der auch dem Richter vorliegt, mit der Akte übereinstimmt und was dieser Fahnder oder Betriebsprüfer auch zuvor selbst so aus seiner Sicht ermittelt hatte, und stellt zufrieden fest, dass der professionelle Zeuge übereinstimmend mit seinem Akteninhalt aussagte und daher dessen Aussage glaubwürdig sein muss … ??? Das ist doch selbstverständlich: das hat er doch gerade auswendig gelernt. Das ist in etwa so, wenn der Lehrer den Kindern ein Gedicht vom Christkind aufgibt auswendig zu lernen und nur weil die Kinder doch tatsächlich das Gedicht auswendig lernten, das der Lehrer ihnen zu lernen aufgab, und dieses dann vor dem Lehrer aufsagen, findet er nun die Aussagen zur Existenz des Christkinds bestätigt und glaubt fortan an das Christkind …. Würden wir einen solchen Lehrer ernst nehmen? Und wie sollen wir das bei den Richtern sehen?
Wie soll die Glaubwürdigkeitsbeurteilung bei den professionellen Zeugen also funktionieren? Und wird die eigene Erinnerung des Zeugen durch das ständige Wiederholen und Auswendiglernen nicht verfremdet? Funktioniert nicht unser Gehirn so, dass das neu gelernte das alte Gelernte überschreibt … Stellen Sie sich einmal vor, Sie sollen eine Treppe heruntergehen. Als Sie klein waren, hat man Ihnen beigebracht, Popo voraus. Also sind Sie oben an der Treppe auch alle Viere gegangen und dann langsam die Füße nach hinten ausstreckend die große Treppe heruntergeklettert. Unten angekommen wäre Sie stolz wie Oskar und so haben Sie Treppe für Treppe abwärts bewältigt. Sie haben das perfektioniert und gehen mittlerweile vorwärts ohne zu überlegen die größten Treppen runter. Aber wann haben Sie was dazu gelernt? Wann und warum haben Sie ihr Verhalten umgestellt. Was war wann und woran erinnern Sie sich? Sie werden mir darauf keine Antworten geben können. Weil Ihr Gehring eine Supermaschine ist, die altes unwichtiges rauswirft und nur noch den letzten Stand, wie Sie am besten die Treppe bewältigen absichert. Das ist gut so. Das ist lebensnotwendig. Das Umdrehen und rückwärts runterkrabbeln war damals und ist heute nicht mehr wichtig. Weil es nicht mehr wichtig für Ihr Treppensteigen ist, hat das Gehirn längst diese Informationen verbannt und den Speicherplatz überschrieben. Ihr Treppenabsteigeprogramm heißt nicht mehr drehen und rückwärts runterkrabbeln, sondern aufrecht, majestätisch, vielleicht sogar schwungvoll mit Robe oder ohne herunterschreiten … aber genauso ist das mit den professionellen Aktenreferenten: die ersten Eindrücke und Erlebnisse sind längst weg und mehrfach überschrieben, je häufiger der spätere Zeuge darüber sprach oder andere Informationen -auch spätere- dazu las. Und dann ist das Gehirn wie unser Auge: fehlende Puzzlestücke werden einfach als vorhanden ergänzt und dazugesellen bzw. dazu ergänzt. Kein Wundernd dass ein solcher professioneller Zeuge ohne Widersprüche und Lücken flüssig das gelernte Gedicht aufsagen kann.
Wie könnte also ein solcher professioneller Zeuge sich beispielsweise an Vorgänge der Durchsuchung noch erinnern, wenn er die Akte Jahre später zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit den damaligen ggf. verschiedenen Aktenvermerken und den weiteren Schriftsätzen und sonstigen Geschehnissen noch wirklich aus eigener Erinnerung heraus ohne Verwässerungen und Verfälschungen durch spätere, weitere Ereignisse und Erlebnisse berichten?
Zumal er zwischenzeitlich zahlreiche andere Fälle mit ähnlichen oder abweichenden Erlebnissen hatte.
Warum kann er sich also gerade an diesen Fall erinnern ? Wird da nicht ein gar zu komisches Spektakel aufgeführt?
Die Uneingeweihte Öffentlichkeit, wenn sie denn mal da wäre in Steuerstrafverfahren, würde staunen, wenn sie die phänomenale Gedächtnisleistung des professionellen Zeugen erleben dürfte – und sie würde vom Glauben abfallen, wenn die Hintergründe und Ursachen ihr offenbart würden.
Sie würde diese Justizskandal anprangern, sie würde sich auf den Arm genommen fühlen und nicht verstehen, warum wir so ein lächerliches Schauspiel machen und warum das einem Rechtsstaat würdig sein sollte … wenn sie es zur Kenntnis nähme. Aber Gott sei Dank kommt ja niemand von der Öffentlichkeit oder der Presse in Steuerstrafsachen in die Gerichtssäle um sich das Schauspiel mal anzuschauen …
- Und warum habe die professionellen Zeugen nie Erinnerungslücken und warum dürfen nicht auch die anderen Zeigen die Akte oder ihre frühere Aussage vorher lesen?
- Warum dürfen oder sollen die sich nicht vorbereiten?
- Schon eine Kopie ihrer eigenen Aussage bei der Polizei oder der Steufa bekommen die „normalen“ Zeugen nicht mit, da sie ja vergessen sollen was sie sagten und man später im Abgleich zu der Aussage man prüfen will, ob das wahr ist, was sie aussagten und jedes Komma, das sie bei der Steuerfahndung anders aussagten (oder der Fahnder einfache Aussage nur etwas anders formulierte, wird dann zum Aufhänger für ihre Glaubwürdigkeitsbeurteilung genommen …) – aber warum gilt anderes für die professionellen Zeugen?
Die Fahnder sind allenfalls Zeugen vom Hörensagen, soweit sie Zeugenaussagen von Dritten wiedergeben … aber diese Fahnder statt der originären Zeugen zu vernehmen widerspräche dem Unmittelbarkeitsgrundsatz, der verlangt, dass das nächste Beweismittel genommen wird, also der Zeuge, der den Sachverhalt selbst erlebt hat …Gleichwohl ist es üblich, solche verfahrenswidrigen stpo-fremden Aktenvorträge vorzunehmen … aber nicht alles was üblich ist, ist auch gesetzeskonform …
Der Anwalt und der Staatsanwalt kann zwar nach einer jeden Zeugenaussage eine Erklärung nach § 257 II StPO abgeben, aber die Staatsanwälte machen das so gut wie nie. Und viele Anwälte auch viel zu selten und letztlich braucht sich das Gericht auf eine Erklärung nicht zu äußern und kann Pokerface machen.
Manchmal kann man auch als Verteidiger die Vereidigung beantragen. Dabei geht das Gesetz bei Zeugen grundsätzlich von einer Nichtvereidigung aus und ordnet eine Vereidigung nur an, wenn das Gericht es wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält, § 59 I StPO. Über diesen Antrag entscheidet das Gericht durch Beschluss und teilweise lässt sich daraus erkennen, was das Gericht von der Aussage hält, etwa weil es die Vereidigung des Zeugen ablehnt mit der Begründung, es dürfe bei dem Verdacht der Falschaussage den Zeugen nicht in einen Meineid treiben …