Die Offenlegungs – und Hinweispflichten bei finanzgerichtlichen Schätzungen
Die Offenlegungs – und Hinweispflichten bei finanzgerichtlichen Schätzungen
-zugleich Kritik an BFH, Beschluss v 19.01.18, X B 60/17–
Von Dr. jur. Jörg Burkhard, Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht, Wiesbaden
Sachverhalt: Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb in den Streitjahren wie auch bereits zuvor zwei, phasenweise drei, Gastronomiebetriebe und erzielte hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Nachdem er 2005 ein Mietwohngrundstück gekauft hatte, dessen Besitz, Nutzungen und Lasten zum 30. Dezember 2005 übergingen, erzielte er seit 2006 u.a. auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Der Kläger legte gegen die teilweise nicht (nämlich hinsichtlich der Absetzungen für Abnutzung —AfA— für das Vermietungsobjekt) erklärungsgemäß ergangenen Bescheide für die Streitjahre Einsprüche ein.
In einer Außenprüfung für die Jahre 2006 bis 2009 stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) fest, was zwischen den Beteiligten mittlerweile auch unstreitig ist, dass die Kassenführung der Gastronomiebetriebe formelle Fehler aufwies und schätzte Einnahmen hinzu.
Das FG Düsseldorf (FG Düsseldorf vom 14. März 2017 13 K 4146/12 E,U,F) gab der Klage hinsichtlich der Hinzuschätzungen teilweise statt. Die Buchführung sei nicht formell ordnungsgemäß. Es seien zwar keine konkreten materiellen Buchführungsmängel festgestellt worden. Allerdings könne auch nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass die Buchführung trotz formeller Mängel sachlich richtig sei, auch nicht mit Hilfe der Vermögenszuwachsrechnung und der rudimentären Geldverkehrsrechnung.
Anmerkung: überraschend ist, dass das Finanzgericht sich nicht zu der Schwere der formellen Fehler äußerte.
Denn natürlich genügen formelle Fehler nicht allein, um die (Kassen-) Buchführung zu verwerfen und dann zu schätzen. Vielmehr ist die Buchführung und die sonstigen Aufzeichnungen zwingend der Besteuerung zugrunde zu legen, § 158 AO, wenn nicht ausnahmsweise die Buchführung auf der Einnahmenseite derart schwere formelle Fehler hat, dass sie entweder nicht mehr prüfbar ist oder aber ihr schlichtweg kein Vertrauen zu schenken ist oder eben aus anderen Gründen Anlass besteht, diesen Einnahmeaufzeichnungen nicht zu folgen.
Formelle Fehler isoliert betrachtet, berechtigen insoweit niemals zur Verwerfung der Buchführung. Und formelle Fehler auf der Ausgabenseite berechtigen erst recht nicht, die Einnahmenseite anzuzweifeln und diese zu verwerfen und hinzu zu schätzen.
Damit ist die Urteilsbegründung des FG, die Buchführung hätte formelle Fehler, niemals eine Rechtfertigung zur Verwerfung der Buchführung (vgl. BFH v 25.03.15, X R 20/13, RN 34). Obwohl also bloß formelle Mängel vorlagen, dessen sachliches Gewicht nicht mitgeteilt ist, nimmt das FG fälschlich eine Schätzungsbefugnis an mit der Begründung, es sei vom Steuerpflichtigen nicht nachgewiesen, dass keine weiteren Einnahmen vorlagen. Das FG legt dem Steuerpflichtigen die Beweislast auf, bei (ggf. Unerheblichen ) formellen Mängeln das Fehlen von sachlichen Fehlern bei den Einnahmen nachzuweisen. Damit schlagen auch bei eigentlich unerheblichen formellen Fehlern auf der Einnahmenseite Unklarheiten bei der Geldverkehrsrechnung oder anderen Verprobungsmethoden sich zum Nachteil des Steuerpflichtigen nach Auffassung des FG Düsseldorf aus. Dies ist aber unzutreffend.
Die Gründe für die Verwerfung muss das FA darlegen und beweisen. Unerhebliche formelle Fehler auf der Einnahmenseite führen nicht zu einer Beweislastumkehr dahingehend, dass die Einnahmen vollständig sind. In dieselbe gedankliche Richtung geht der BFH in seiner Entscheidung vom 12.07.17, in der er darauf abstellt, dass es nicht darauf ankommt, ob theoretisch Zweifel an der Vollständigkeit der Einnnahmeerfassung bleiben, sondern ob die Aufzeichnungen (hier in der BFH-Entscheidung bei der offenen Ladenkasse) dem Gesetz entsprechen. Im BFH-Beschluss vom 12.07.17 (X B 16/17) heißt es dazu in Rn 90 ff wie folgt wörtlich: „[90] (6)Dem FA ist zwar zuzugeben, dass die Aufzeichnungen des Antragstellers nicht die Gewähr ihrer inhaltlichen Vollständigkeit bieten.
Diese fehlende Vollständigkeitsgewähr ist aber im Wesentlichen durch die – zulässige – Verwendung einer offenen Ladenkasse in Kombination mit den geringeren gesetzlichen Anforderungen an die Aufzeichnungen bei der – hier ebenfalls zulässigen – Wahl der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung bedingt. Solange der Gesetzgeber eine derartige Kassenführung und eine derartige Gewinnermittlungsart zulässt, kann aus dem Umstand, dass es hier systembedingt keine Vollständigkeitsgewähr geben kann, jedenfalls bei summarischer Betrachtung keine Befugnis zur Vollschätzung abgeleitet werden. [91]
Selbst die Führung der vom FA verlangten Kassenberichte würde keineswegs ausschließen, dass zur Steuerhinterziehung entschlossene Steuerpflichtige einen Teil ihrer Erlöse außerhalb ihrer offenen Ladenkasse vereinnahmen und die entsprechenden Beträge von vornherein nicht in ihre Kassenberichte aufnehmen. Die Kassen-Nachschau – als ein mögliches Instrument einer wirksamen Kontrolle der Vollständigkeit der Ursprungsaufzeichnungen – ist trotz frühzeitiger Kenntnis des Gesetzgebers von der Problematik der vollständigen Einnahmeerfassung in den „Bargeld-Branchen“ erst mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 in § 146b AO aufgenommen worden (Gesetz vom 22. Dezember 2016, BGBl I 2016, 3152).[92] Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob die im Einzelfall vorliegenden Aufzeichnungen ordnungsgemäß sind, ist nicht, ob das verwendete Aufzeichnungssystem bei hinreichender krimineller Energie noch Möglichkeiten zur Steuerverkürzung bietet, sondern ob es den gesetzlichen Anforderungen genügt.“ (BFH, Beschluss vom 12. 7. 2017 – X B 16/17)
Das FG in der Begründung zur Verwerfung weiter: Das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass in der Vermögenszuwachsrechnung sämtliche Vermögensgegenstände des Klägers und in der Geldverkehrsrechnung sämtliche Geldflüsse enthalten seien. Soweit in der Vermögenszuwachsrechnung die Immobilien im Land X fehlten, habe dies zwar keine Auswirkung auf den Vermögenszuwachs, da sie zu Beginn und zum Ende der Streitjahre unverändert vorhanden gewesen seien. Jedoch stehe nicht fest, dass die in der Vermögenszuwachsrechnung angegebenen Bankkonten vollständig seien. Der Zeitreihenvergleich sei im Streitfall ungeeignet, die Schätzung durch Nachkalkulation oder im Wege der Vermögenszuwachsrechnung nicht durchführbar.
Anmerkung: Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Vermögenszuwachsrechnung können nicht zulasten des Steuerpflichtigen gehen, da diese Schätzungsmethoden Beweismittelersatz für die angeblich unzutreffende Einnahmeaufzeichnungen in der Buchführung sind. Wenn aber der Beweismittelersatz in sich Zweifel trägt, taugt er möglicherweise nichts, was allenfalls zu dem Ergebnis führt, dass diese Schätzungsmethode nicht geeignet ist. Wenn die Zweifel hinsichtlich der Vollständigkeit in der Schätzungsmethode begründet liegen, können eventuelle Lücken in dieser Schätzungsmethode nicht durch weitere Schätzungen geschlossen werden. Fraglich ist, wie zu verfahren ist, wenn sämtliche Schätzungsmethoden Zweifel an ihrer Geeignetheit bzw. Vollständigkeit beinhalten.
- Geht dann gar keine Schätzungsmethode?
- Darf dann nicht geschützt werden?
Dann wird man wohl die schlechteste aller Schätzungsmethode mit ihren Fehlern jedenfalls ersatzweise anwenden dürfen. Das setzt aber eine Analyse aller Schätzungsmethoden und die Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile voraus, um dann die beste im Rahmen einer sachgerechten Ermessensentscheidung herauszufiltern. Eine solche Entscheidungsanalse hat das FG allerdings in seinem Urteil nicht nachprüfbar für den BFH dargelegt. Wie aber dabei das FG dann seiner Verpflichtung nachweislich nachgekommen, die sachgerechteste Methode nach § 5 AO zu wählen, ist jedenfalls im Urteil des FG nicht dargelegt, so dass insoweit ein Auswahlermessensfehler ebenfalls in dem Urteil des FG liegt – oder ein Urteilsbegründungsfehler -der allerdings mangels Darlegung der Ermessenserwägungen in dem dadurch unterstellten Ermessensausfall aufgeht.
Das FG Düsseldorf weiter: Die geeignetste Schätzungsmethode sei im Streitfall der äußere Betriebsvergleich.
Das FG hat daher eine Richtsatzschätzung im oberen Bereich vorgenommen und gelangte so zu Hinzuschätzungsbeträgen für 2006 von netto xx.xxx €, für 2007 von netto xx.xxx €, für 2008 von netto xxx.xxx € und für 2009 von netto xx.xxx €, mithin in den drei Jahren 2006, 2007 und 2009 unterhalb, im Jahre 2008 oberhalb des seitens des FA angesetzten Betrags.
Anmerkung: das Finanzgericht prüft also hier im Rahmen der Schätzung mehrere verschiedene Schätzungsmethoden.
Das ist also hier gedanklich in der erfolgreichen Verwerfung der Buchführung, sodass Paragraf 158 EUR überwunden ist und die Schätzungsmöglichkeit – und Schätzungspflicht – nach Paragraf 162 AO eröffnet ist. Insoweit hat das Finanzgericht eine eigene Schätzungsbefugnis nach Paragraf 96 FGO und darf die von der Finanzverwaltung vorgenommene Schätzung überprüfen, der Höhe nach unten (nicht nach oben wegen des Verböserungsverbots, reformatio in peius) abweichen oder darf auch eine andere Schätzungsmethode wählen und dabei entweder das Schätzungsergebnis das Finanzamt bestätigen oder nach unten abweichen.
Hier hat das Finanzgericht hinsichtlich der richtigen Schätzungsmethode sein Ermessen nach Paragraf 5 AO auszuwählen und die sachgerechteste und beste Schätzungsmethode anzuwenden (vergleiche BFH, Urteil vom 25. 3. 15, X R 20/13, RN 34: „Allerdings berechtigen formelle Buchführungsmängel nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln (BFH-Entscheidungen vom 17. November 1981 VIII R 174/77, BFHE 135, 11, BStBl II 1982, 430, unter 1.; vom 25. Januar 1990 IV B 140/88, BFH/NV 1990, 484, und in BFH/NV 2012, 1921, Rz 22, mit zahlreichen weiteren Nachweisen“). Das Problem im vorliegenden Fall war, dass das Finanzgericht seine Schätzungsmethode in der mündlichen Verhandlung nicht offengelegte und nach der Mitteilung des Urteils des BFH die Beteiligten auch nicht auf die Idee kommen konnten, dass das Finanzgericht eine andere Schätzungsmethode als die bislang diskutierten, nämlich hier eine Schätzung nach der Richtsatzsammlung vornehmen würde.
Dieses Problem führt auf eine häufig anzutreffende Verfahrensweise vieler Finanzrichter zurück, die spärlich bis gar nicht sich in die Karten blicken lassen und dann überraschende Entscheidungen absetzen. Das ist einerseits nicht rechtmäßig, da natürlich rechtliches Gehör damit verletzt wird, andererseits kein faires Verfahren geführt wird und zwar solche überraschenden Entscheidungen Diskussionen in der mündlichen Verhandlung vermeiden helfen – aber dann häufig zu Fehlurteilen führen, weil ohne die Diskussion im Gerichtssaal in der mündlichen Verhandlung natürlich viele Aspekte dazu nicht vorgetragen werden können, sodass ein solcher überraschender Schwenk des Gerichts gleichsam das Kaninchen aus dem Zauberhut ist, dies aber nichts mit Sachverhaltsaufklärung, richtiger Rechtsfindung und offener Diskussion über die vor und Nachteile der ein oder anderen Schätzungsmethode bzw. Bedenken gegen bestimmte Auslegungen oder Interpretationen oder Gesetzesanwendungen zu tun hat.
Wenn die mündliche Verhandlung – wie leider allzu oft in finanzgerichtlichen Verfahren zu erleben – zu einer Farce verkommt, ist dies besonders problematisch, da der finanzgerichtliche Rechtszug in der Tatsacheninstanz nur einstufig ist und die Vermeidung der kritischen Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage durch manche Gewichte nicht der richtigen Rechtsfindung dient.
Daher ist das Thema der rechtswidrigen Überraschungsentscheidung und der fehlenden Hinweise des Gerichts ein alltägliches Problem in sehr vielen oder fast allen Finanzgerichtsverfahren. So macht auch vorliegend der Kläger mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend und rügt beispielsweise die Wahl der Richtsatzschätzung als Schätzungsmethode als eine rechtswidrige Überraschungsentscheidung. Abgesehen von materiell-rechtlichen Bedenken gegen die Richtsatzschätzung —es wäre unsinnig gewesen, eine Gaststätte mit derartigen Gewinnen nach 14 Monaten wieder aufzugeben— habe der Kläger auch nicht damit rechnen müssen, dass das FG kommentarlos die Vermögenszuwachsrechnung verwerfen und die bisher nicht diskutierte Variante der Richtsatzschätzung anwenden würde.
Dies widerspreche den Vorgaben des Bundesfinanzhofs (BFH) in dessen Beschluss vom 10. September 2013 XI B 114/12 (BFH/NV 2013, 1947).
Der BFH hat dies im vorliegenden Fall anerkannt und erfreulich das Urteil aufgehoben und zurückverwiesen. Im Beschluss v. 19.01.2018 – X B 60/17 klingt das dann wie folgt:
„Im Übrigen ist die Beschwerde begründet. Es liegt ein von dem Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann. Zur Straffung des Verfahrens verweist der Senat den Rechtsstreit nach § 116 Abs. 6 FGO bereits im Beschwerdeverfahren zurück.
1. In der Anwendung einer Richtsatzschätzung liegt ein Verstoß gegen die Hinweispflicht aus § 76 Abs. 2 FGO und damit eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Eine Überraschungsentscheidung in diesem Sinne setzt voraus, dass das Gericht dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste. Auf rechtliche Umstände, die ein Beteiligter selbst hätte sehen können und müssen, muss er nicht hingewiesen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 10. März 2016 X B 198/15, BFH/NV 2016, 1042, unter II.2.).
Grundsätzlich muss das FG seine Schätzungsmethode den Beteiligten nicht offenlegen. Wie aber die überraschende Einführung neuer rechtlicher Gesichtspunkte durch das FG eine Verletzung rechtlichen Gehörs darstellt, so gilt das auch für die Anwendung bisher nicht erörterter Schätzungsmethoden, die in ihrer Qualität einem nicht erkennbaren neuen rechtlichen Gesichtspunkt vergleichbar sind. Daraus folgt noch nicht, dass das FG jede Änderung oder Abwandlung der Schätzungsmethode vorweg offenlegen müsste, wenn und soweit die betreffenden Schätzungsmethoden einander ähnlich oder voneinander abgeleitet sind (vgl. im Einzelnen zu den Hinweispflichten bei Schätzungen BFH-Urteil vom 2. Februar 1982 VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409).
Wohl aber ist nach diesen Maßstäben eine Mitteilung geboten, wenn das FG eine Schätzungsmethode verwenden will, die den bereits erörterten Schätzungsmethoden nicht mehr ähnlich ist oder die Einführung neuen Tatsachenstoffs erforderlich wird (Beschluss in BFH/NV 2013, 1947).“ (BFH v. 19.01.2018 – X B 60/17).
Falsch ist allerdings die Ansicht des BFH, dass das Finanzgericht seine Schätzungsmethode Beteiligten nicht vorher – im Vorfeld der mündlichen Verhandlung oder spätestens aber in der mündlichen Verhandlung – offenlegen müsse. Dann ein faires Verfahren verlangt natürlich nicht nur ein Hinweis des Gerichts auf geplante eigene Schätzungen, sondern auch die zur Diskussion Stellung der Schätzungswege (Rechenwege und Quellen) und Schätzungsergebnisse. Denn nur so ist rechtliches Gehör einerseits gewährleistet und andererseits auch die Chance gegeben, dass die Beteiligten sich hierzu kritisch äußern können und damit in der Instanz Rechen-und Sachfehler erkennen und ansprechen können und diese dann beseitigt werden können.
Die grundsätzliche Annahme des BFH, dass das FG die Schätzungsmethode beteiligt nicht offenlegen müsste, verstößt daher gegen Art. 103 GG sowie gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, Art. 20 Abs. 3 GG und den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG. Zudem ist die Rechtsansicht des BFH problematisch wenn das FG, die beabsichtigte Schätzungsmethode nicht offenlegen müsse, weil man immer diskutieren kann, ob die kundigen Vertreter des Klägers die Gedankengänge des Finanzgerichts hätten erkennen können und von sich aus hierzu zu der geplanten anderen Schätzungsmethode etwas sagen können, ab wann also die eigenen Gedanken das Finanzgerichts offengelegt werden müssen und bis wann noch nicht.
Würde der BFH also generell eine Offenlegung geplanter abweichende Schätzung Gedanken vom Finanzgericht fordern, wäre nicht eine Grauzone entstanden, bei der man diskutieren kann auf die neuen Gedanken oder von der bisherigen Schätzungen noch nicht offengelegt werden müssen bzw. ab wann diese offengelegt werden müssen und was versierte Bevollmächtigte erkennen (hellsehen) können und was nicht. So gibt der BFH hier Steine statt Brot: was ist, wenn das Finanzgericht statt einer Bargeldunterdeckungsrechnung des FA nun eine Wareneinsatzunterdeckungsrechnung vornimmt? Muss es hierauf vorher hinweisen oder nicht? Die Beantwortung auf hier bestehende Hinweispflichten, ergibt sich leider nicht klar aus der BFH Entscheidung vom 19.1.2018.
- Darf statt einer Bargeldunterdeckungskehrsrechnung des Finanzamts das FG eine Vermögenszuwachsrechnung ohne Hinweise machen und dann im Urteil seiner Entscheidung zugrunde legen?
- Darf das Finanzgericht wegen streitiger, angeblich ungeklärte Geldzuwächse (angeblich ungeklärte Mittelherkunft) eine Geldverkehrsrechnung mit der Schätzung privaten Bargeldkonsums erst im Urteil ohne vorherige Gelegenheit zur Stellungnahme machen?
- Wenn Anfangsbestände bei einer Bargeldunterdeckungsrechnung bei einem Einnahme-Überschussrechner nicht ermittelbar sind und damit die Schätzungsmethode des FA nicht durchführbar ist, darf dann das FG eine Vermögenszuwachsrechnung machen?
- Darf das FG, wenn die Richtsatzsammlung aus Sicht des FA nicht passt und die untersten Werte der Richtssatzsammlung vom FA unterschritten werden, dennoch die Richtsatzsammlung anwenden?
- Ab wann ist also eine den bereits erörterten Schätzungsmethoden nicht mehr ähnlich?
- Und was ist in den Fälle, in denen mehrere oder viele Schätzungsmethoden diskutiert und viele in der BP oder im Rechtsbehelfsverfahren verworfen wurden … darf auf einer dieser in einem frühen Stadium diskutierten Schätzungsmethoden dann das FG ohne Hinweis und ohne Erörterung einfach im Urteil zurückspringen?
- Wären da die Beteiligten nicht erst Recht sehr überrascht, wenn eine beiderseits für falsch gehaltene, früher einmal diskutierte Schätzungsmethode dann doch im Urteil auf einmal wieder als die angeblich richtige auftaucht?
- Ist das dann nicht besonders überraschend, wenn beide Beteiligte diese Methode übereinstimmend früher als falsch erkannten und davon einvernehmlich übereinstimmend abwichen?
- Und warum ist die auf ihren Aussageinhalt nie überprüfte Richtsatzsammlung überhaupt eine geeignete Schätzungsgrundlage (vgl. Burkhard, BBP 2017, 14 ff)?
Schließlich ist die Entscheidung das BFH vom 19.1.2018 völlig inakzeptabel im Hinblick darauf, dass der BFH selbst von Prüfern die Offenlegung etwa der Berechnungen bei Ausbeutekalkulationen verlangt, damit der Steuerpflichtige sich sachgerecht verteidigen kann. So hat der BFH schon für „klassische“ Kalkulationen in Papierform entschieden, dass sowohl die Kalkulationsgrundlagen als auch die Ergebnisse der Kalkulation sowie die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, offengelegt werden müssen (vgl. BFH-Urteile vom 31. Juli 1974 I R 216/72, BFHE 113, 400, BStBl II 1975, 96, unter 2.b, und vom 17. November 1981 VIII R 174/77, BFHE 135, 11, BStBl II 1982, 430, unter 4.c).
In seiner Entscheidung zum Zeitreihenvergleich hat der BFH darüber hinaus ausgeführt, dass auch die spezifischen „Daten“, auf denen der Zeitreihenvergleich basiere, offengelegt werden müssen (Urteil vom 25. März 2015 X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 49; ebenso bestätigend: BFH v. 25.07.2016 – X B 213/15, X B 4/16). Warum diese Gedanken zur Offenlegung der Schätzungsgrundlagen nicht aber auch gegenüber einer Schätzungsmethode des Finanzgerichts gelten, ist nicht verständlich. Warum das Finanzgericht diese Schätzungsmethode für sich geheim halten können soll und dann erst im Urteil – lange nach der mündlichen Verhandlung seine Berechnungen im Urteil erst darlegen muss ohne dass der Steuerpflichtige sich zuvor gegen diese Gedanken und Schätzungen wehren oder hierzu Stellung nehmen könnte, lässt sich nicht verstehen.